• "Peter Truschner gehört zu jener aussterbenden Künstlerspezies, die stets aufs Ganze gehen muss." ***** Frankfurter Allgemeine Zeitung

  • "A powerful use of image and poetry." ***** Roger Ballen, Photographer

  • "Terribly beautiful and fascinating" **** Richard Mosse

  • "Peter Truschner schont in seinen Texten über eine Welt, in der es um den Preis und nicht um den Wert einer Ware, der Arbeit oder des Lebens geht, weder sich noch den Leser." ***** Stefan Gmünder, Der Standard

  • "Peter Truschner belongs to the almost extincted sort of artists who always have to go all out." ***** Frankfurter Allgemeine Zeitung

  • "A great amount of good photography." ***** Myrto Steirou, VOID

  • "Peter Truschner ist nicht nur ein wacher und sensibler Beobachter, sondern ein Erlebender des Wahnsinns, der um uns herum geschieht." ***** Martin Kusej, Burgtheater Wien

  • "Ist das immer schon so gewesen, dass man eines Tages hinter seinem warmen Ofen hervorgeholt und an den Haaren ans Ufer gezerrt und in die kalten Betriebsfluten getaucht und getauft wurde im Namen des Geschäfts?" ***** aus: Im Namen des Geschäfts

Copyright 2024 - Peter Truschner - All rights reserved // „Peter Truschner gehört zu jener aussterbenden Künstlerspezies, die stets aufs Ganze gehen muss.“ Frankfurter Allgemeine Zeitung

Essays

 

ILLUSION ISTANBUL

 

Warum die Euphorie um die europäische Kulturhauptstadt 2010 ein Missverständnis ist

Folgt man der jüngsten Berichterstattung rund um die Ernennung Istanbuls zur europäischen Kulturhauptstadt 2010, hat sich das ohnehin im Süden verankerte deutsche Fernweh einen neuen Sehnsuchtsort erkoren: Istanbul. Vor allem die Kunst- und Kulturszene der 15 Millionen - Stadt ruft einhellige Begeisterung hervor. So schwärmen „Die Welt“ und das 3sat-Magazin „Kulturzeit“ unter anderem  von Istanbuls „neugieriger, lebenspraller, zeitgenössischer Kunstwelt“, ihrer „pulsierenden Popszene“, und sprechen im Zusammenhang mit der Berliner Ausstellung „Next Wave: Istanbul“ gar von einer „Explosion der Kunst“. Die FAZ stellt Istanbul als die nach Berlin nächste angesagte Stadt für Künstler vor. Und wer Fatih Akins Dokumentation „Crossing the Bridge“ über die Musikszene in Istanbul sieht, glaubt sowieso, dass sich die kreative Kraft der Stadt förmlich an jeder Ecke offenbart und er sich ihr nur hinzugeben braucht.
Anlässlich einer Reise hatte ich ausgiebig Zeit, mich in Istanbul umzusehen. Ich freute mich darauf, mich von seiner Energie mitreißen zu lassen. Und tatsächlich: In seiner Vielfalt, seinen offen zutage liegenden Widersprüchen, ist Istanbul fesselnd - allein, eine flächendeckende Popszene oder eine Explosion der Kunst gibt es dort (noch) nicht. Die gibt es vor allem im Stadtteil Beyoglu. Gemeinsam mit dem angrenzenden Stadtteil Fatih, auf dessen Gebiet sich die Prachtbauten aus der osmanischen Zeit befinden, stellt es gewissermaßen das geografische und kulturelle Herz Istanbuls dar - mit dem entscheidenden Unterschied, dass die Hagia Sophia oder der Topkapi Palast ein Gut darstellen, auf dessen repräsentative Bedeutung sich alle einigen können, Türken und Touristen, Gläubige und Ungläubige - etwas, das sich von Beyoglu mitnichten behaupten lässt. Beyoglu ist der Inbegriff der liberalen, weltoffenen Seite des Kemalismus (der auch eine autoritäre, militärisch geprägte hat, die jedoch von seinen Anhängern häufig marginalisiert wird), einer Seite, mit der sich (West-)Europäer allzu gern identifizieren. Von wenigen Ausnahmen wie dem ebenfalls auf der europäischen Seite gelegenen Kulturzentrum Otto Santral abgesehen, befindet sich der überwiegende Teil der Galerien, Museen und Clubs, die für die zeitgenössische Kunst und Kultur relevant sind, in Beyoglu. Schicke Locations gibt es auch entlang des Bosporus oder im asiatischen Univiertel Moda, dort geht es jedoch vor allem ums Chillen und Spaßhaben. In vielen Istanbuler Vierteln gibt es oft nicht einmal ein Kino.
In Beyoglu, das 250.000 Einwohner hat, sind es wiederum nur bestimmte Bezirke wie Taksim, Cihangir oder Galata, auf die sich der Tourist, der Student oder die Journalistin beziehen, wenn sie von Istanbul als „weltoffen“, „hip“ oder eben „europäisch“ sprechen. Bezirke wie das historische Einwandererviertel Tarlabasi fügen sich schon nicht mehr in dieses Bild, da seine zum Teil einsturzgefährdeten Häuser und düsteren Gassen vor allem von illegalen Armeniern, bettelarmen anatolischen Großfamilien und heruntergekommen Sexarbeitern bewohnt werden -  eine mitleiderregende Mixtur, die den fröhlichen Flaneuren Taksims den Dreck wegputzt. Ganz selten nur verirrt sich ein adretter Café- oder Galeriebesucher hierher, obwohl beide Bezirke aneinander grenzen, was mit ein Grund für das einseitige Bild ist, das von Istanbul existiert. Als einzige Erklärung dafür reicht der obligate touristische Tunnelblick jedoch nicht. „In der kurzen Zeit, die man hat, hält man sich eben an Szene-Plätzen mit Szene-Leuten auf“, sagt Bernhard Böhm von der Wiener Gruppe Transforming Freedom, die sich mit Phänomenen digitaler Kunst und Kultur auseinandersetzt. „Fliegt man dann zurück, hat man tatsächlich das Gefühl, in Istanbul gehe es nicht anders zu als in Wien und Berlin.“ Transforming Freedom ist Teil des Kunstnetzwerks X-OP, das Projekte über die europäischen Ländergrenzen hinaus verwirklicht. Im November 2009 trat die Gruppe im Rahmen eines Istanbuler X-OP Events auf, das ebenso von einem Kulturprogramm der EU gefördert wird wie die Räumlichkeiten, in denen es stattfand: Im Apartment Project von Selda Asal, einer Pionierin der Istanbuler Kunstszene, die lange Zeit ohne Zuschüsse von öffentlicher Seite ein Artists in Residence - Programm organisiert hat, das es Künstlern aus aller Welt ermöglichte, in Istanbul kostenfrei unterzukommen und Projekte zu realisieren.
Wie man nicht nur an diesem Beispiel sehen kann, engagiert sich die EU in einem nicht unbeträchtlichen Ausmaß kulturpolitisch in Istanbul. Dennoch gibt es einen gewissen Trend weg von Europa, nicht nur seitens der AKP unter Ministerpräsident Erdogan, sondern auch in der Istanbuler Kunstszene. „Ich habe mein Interesse am Westen verloren“, sagt etwa die Kuratorin Serra Özhan, die Ende 2009 in den Räumlichkeiten des Kulturzentrums DEPO die Ausstellung Reciprocal Visit organisierte, die im Grunde mehr über die zeitgenössische Kunst in Istanbul aussagt als etwa die Istanbul Biennale oder die Istanbul - Ausstellung in Berlin. Türkische Künstler  besuchten Georgien, Armenien, Aserbeidschan und Iran, und luden wiederum Künstler aus diesen Ländern zu einem Gegenbesuch ein. Das Ergebnis der unterschiedlichen Projekte und Reflexionen ist Gegenstand der Ausstellung. Interessanterweise handelt es sich um jene Länder, die im Augenblick im Fokus der türkischen Außenpolitik stehen. Die Türkei sucht ihr Heil nicht länger in einem EU - Beitritt, sie entwirft sich vielmehr als hegemoniale Macht auf der Schwelle zwischen West und Ost. Sie sympathisiert - wenn auch in aller Zurückhaltung - mit dem Widerstand der iranischen Regierung gegenüber dem Westen, will langfristig die Grenze zu Armenien öffnen, Aserbeidschan ist vor allem wegen seiner großen Öl- und Gasvorkommen interessant. Ohne sich dabei zum Handlanger zu machen, kann die Kunst bei solchen Prozessen der effizienten politischen Auseinandersetzung den Boden bereiten, Vorurteile abbauen helfen. Kein Wunder, dass dabei sogar kritische Projekte wie Reciprocal Visit - wenn auch in bescheidenem Rahmen - gefördert werden.
Apartment Project und DEPO sind Non-Profit-Unternehmungen, wie Kunst in Istanbul generell: 90 Prozent der Künstler gehen einer anderen Tätigkeit nach, um sich den Lebensunterhalt zu verdienen. Wie aber sieht es in Istanbul mit den Profiten aus, die mit der zeitgenössischen Kunst zu machen sind? Die Wahrheit ist: Im Grunde kann nur eine einzige Galerie wirklich profitabel vom Geschäft mit türkischer Gegenwartskunst leben: die Galerie Galerist. Sie ist gleichzeitig die einzige Istanbuler Galerie, die auf der letzten Art Basel vertreten war. Es gibt engagierte Galerien, die sich mit viel Ambition der Gegenwartskunst widmen - etwa die Galerie Outlet oder CDA Projects -, als Beleg für den vielbeschworenen Boom reicht es jedoch bei weitem nicht. „Es ist kein Vergleich zu vor fünf Jahren, als es so gut wie nichts gab“, sagt Doris Karako von Galerist. Den Hype, der um Istanbuls Kunst und Kultur in den westlichen Medien inszeniert wird, kommentiert sie augenzwinkernd: „Gut fürs Geschäft.“ Asal, Özhan, Karako - es ist auffällig, wie viele Frauen den Istanbuler Kunstbetrieb am Laufen halten, ob als Produzentinnen oder Organisatorinnen. „Wahrscheinlich, weil es für Männer zu wenig Geld oder soziales Prestige zu holen gibt“, meint Özhan trocken, während Karako die Kunst als eine Nische beschreibt, die den türkischen Frauen unausgesprochen überlassen wurde, um sich auszudrücken, ähnlich den europäischen Salons im 18. und 19. Jahrhundert.
Ob Männer oder Frauen, alle glauben, dass es in Istanbul sowohl mit der Kunst, als auch mit dem Geschäft mit ihr weiter aufwärts gehen wird - wenn auch niemand sagen kann, in welche Richtung der Weg geht. Die meisten Proponenten des Kulturbetriebs sind Vertreter eines liberalen und traditionell laizistischen Kemalismus. Der mit Unterstützung der AKP um sich greifende Islamismus erzeugt Ängste: Angst vor Verboten, vor Zensur und vor einer Kunst, die ebenso unter der Fuchtel der Religion steht wie die Künstler, die sie auszuüben versuchen. Wie so etwas aussehen kann, zeigt die Auseinandersetzung um die erfolgreichste Fernsehserie des Landes. "Ask-i Memnu" ("Verbotene Liebe") genießt in der Türkei und in einigen arabischen Ländern geradezu Kultstatus. Nachdem in Saudi-Arabien islamistische Geistliche bereits ein Verbot der Serie gefordert hatten, wird nun auch in der Türkei darüber diskutiert. Die Serie, die davon handelt, wie sich ein Mann in seine Schwägerin verliebt, untergrabe die Familienwerte des Landes, kritisierte die neue Familienministerin Aliye Kavaf. Seitdem prüft der Medienaufsichtsrat ein Verbot. Gleichzeitig läuft im Fernsehen am Nachmittag eine andere Serie, in der ein Mädchen aus besserem Hause eine Liaison mit einem Chauffeur eingeht, was ihren Vater und ihren Bruder derart erzürnt, dass sie sie an einen Pfahl binden und ihr mit den Gürteln den nackten Rücken blutig schlagen - eine Maßnahme, die die Familienwerte des Landes offensichtlich nicht untergräbt, zumindest ist kein Einspruch der Ministerin bekannt.

 

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