Erzählungen
Mein Rohrstock Hansi
Das Leben eines Schriftstellers ähnelt mehr dem eines Archivars im Kellergewölbe eines Bezirksamts, als dem eines Eroberers und Entdeckers. Das hat Auswirkungen auf das Sexleben: Es verkopft, es vertrocknet, bis es schließlich einmufft. Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben und es dabei belassen, mich bei aufkeimender Erregung an den Beinen meines Schreibtischs zu reiben, als Greta in mein Leben trat. Greta, die Bombastsiche, die Orgiastische. Ich werde mich nicht über den Kult der Körperöffnungen und -flüssigkeiten auslassen, dem sie huldigte. Eines Tages jedoch gingen wir in einen gut sortierten Laden, um zum Zwecke des Hinternversohlens einen Rohrstock zu kaufen, den Greta nach dem Erwerb seltsamerweise Hansi nannte.
Schon als ich Hansi das erste Mal benutzte, spürte ich die Veränderung, die mit mir vorging. Das Zischen, die roten Striemen, die er auf den blassen Backen hinterließ, die machtvoll aufgerichtete Männlichkeit, die er mir verlieh - ich war ihm mit dem ersten Schlag verfallen. Gleichzeitig erkannte ich, dass ich nach Gebrauch wieder zu dem uninteressanten, schlaffen Typ wurde, der ich vorher war. Ich achtete also penibel darauf, ihn immer um mich zu haben: Er lehnte lässig in einer Ecke, während ich schrieb, oder lag gemütlich beim Fernsehen in Griffnähe auf dem Sofa. Bald hatte ich das Gefühl, gar nichts zu sein ohne ihn.
Seine Bedürfnisse sind im Laufe der Zeit zu den meinen geworden. Manchmal packt mich im Büro ein unstillbares Verlangen, die Chefsekretärin zu packen und ordentlich übers Knie zu legen. Es geht soweit, dass sich selbiges Bedürfnis einmal sogar beim Anblick von Herrn Kurti empfand, dem 66jährigen Ober meines Stammcafés, als dieser sich mit dem Rücken zu mir über den Nachbarstisch beugte.
Wen wundert es da, dass ich Hansi nicht nur als Quelle der Lust, sondern auch der Qual empfinde? Ich habe jedoch Mittel und Wege gefunden, mich für die Macht, die er über mich ausübt, zu rächen. Ich habe mir bei „Schlecker“ einem Aufsatz aus Straußenfedern gekauft, den ich ihm überstülpe, um ihn als Staubwedel zu benutzen. Es geht mir vor allem darum, ihn zum banalen Objekt zu degradieren. Obwohl er sich keinen Millimeter rührt, spüre ich, wie er flennt, bettelt, wie es ihn förmlich zerreißt. „Das Leben ist kein Ponyhof, Hansi“, sage ich dann zu ihm.
Seit er Pinocchio im Fernsehen gesehen hat, träumt er von der großen weiten Welt. Er sieht in ihm einen Holzprügel, der es geschafft hat. Ich aber mache seine Träume zunichte, indem ich ihm Porträts Liechtensteiner Steuerflüchtlinge zeige und ihm klar mache, dass es auf dieser schnöden, konsumfixierten Kapitalistenpritsche genannt „Welt“ keine guten Feen gibt.
Ich bin mir sicher: Irgendwann wird es ein Facebook - Profil von Hansi geben oder ein Internetforum, in dem von seinen Finessen die Rede ist. Vielleicht gibt es all das sogar schon, aber ich habe bisher nicht den Mut gehabt, bei Google „Hansi“ einzugeben und nachzuschauen. Meine größte Angst besteht darin, dass ich in diesen Beiträgen keine Rolle spiele, gewissermaßen zu Hansi geworden bin. Die Wahrheit ist: Ich würde ihn am liebsten mit der Hacke zu Sperrholz verwandeln - und kann doch nicht mehr leben ohne ihn. Die Hoffnung, die mir bleibt ist, dass ist einmal zu fest zuschlage und er entzwei bricht - und über allen Backen ist Ruh’.